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Zurück „Die wilden 20er-Jahre“ – ein Zwischenfazit

Editorial I Fondsjournal Mai 2024

„Die wilden 20er-Jahre“ – ein Zwischenfazit

„Die wilden 20er-Jahre” – so lässt sich das bisherige Jahrzehnt gut zusammenfassen. Auf die globale Pandemie im ersten Quartal 2020 folgten ein markanter Wirtschaftseinbruch mit ebenso markanter Erholung. Lieferkettenprobleme und die traurigen Ereignisse der Geopolitik führten zu einem Inflationsschock, aus Negativzinsen wurde eine Zinswende historischer Dimension. Zyklen, die für zehn oder mehr Jahre gereicht hätten, wurden in kurzer Zeit abgearbeitet.
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In dieser Hektik den Überblick zu bewahren ist anspruchsvoll, die Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen ist hoch. Basis für strategische Geldanlage sind aber nicht die hektischen Tagesaktualitäten, sondern die großen Trends. Wir denken, dass wir nunmehr wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen und uns einer gewissen Normalität nähern. Gerade deswegen macht es Sinn ein Zwischenfazit zu ziehen.
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BEMERKENSWERTE US-WIRTSCHAFT

Die Entwicklung einer Volkswirtschaft lässt sich am realen Wirtschaftswachstum messen, also an jenem vor Inflation. Geht man nun die besprochenen vier Jahre zurück und nimmt das Jahresende 2019 als Basis, so überrascht nicht die Information, aber sehr wohl die Dimension. Die USA konnten in diesem Zeitraum bis Jahresende 2023 ihre reale Wirtschaftsleistung um beachtliche 8,2 % steigern und führen damit die Liste der großen Industrienationen, der sogenannten G7, mit deutlichem Abstand an. Am Ende der Tabelle findet sich Deutschland mit einem Zuwachs von mickrigen 0,1 %, auch als Ergebnis des politischen Handelns. Zum Vergleich: Auch Österreich hinkt mit einem realen Zuwachs von 1,3 % deutlich hinterher, die gesamte EURO-Zone kommt immerhin auf 3 % und selbst Japan, nicht als Wachstumskaiser bekannt, weist eine Zahl von 3,1 % auf. Das Argument, dass die US-Politik viel Geld vor allem für Infrastrukturprojekte ausgibt und den Schuldenstand deutlich erhöht, ist korrekt, letztendlich aber doch zu dünn. Auch Österreich hat viel Geld ausgegeben und die Schulden erhöht. Die undifferenzierte Vorgangsweise führte aber dazu, dass das Land an der Spitze der Inflationslisten steht, aber am unteren Ende der Wachstumslisten.
Diese Trends verstärken sich aktuell. In den vergangenen Tagen hat der Internationale Währungsfonds IWF die Konjunkturerwartung für die Weltwirtschaft im Jahr 2024 auf ein Plus von 3,2 % erhöht, die Prognose für die USA wurde auf 2,7 % nach oben geschraubt. Für die Euro-Zone werden nunmehr 0,8 % erwartet und die Schätzung für Deutschland wurde auf 0,2 % gesenkt…
 

BEMERKENSWERTE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT

Die Formulierung „laut Lehrbuch“ muss man, überspitzt formuliert, vorerst aus dem Wortschatz streichen. Weniges hat zuletzt laut Lehrbuch funktioniert. Andererseits macht genau das die Faszination der Finanzmärkte aus. Es ist einfach nicht möglich, die Zukunft genau zu kennen, die Praxis hält sich sehr oft nicht an die Theorie. Hätte vor drei Jahren jemand gesagt, dass die US-Zinsen von knapp über Null in nur 16 Monaten auf über 5 % erhöht werden und um eine daraus folgende Prognose für Wirtschaft und Börse gebeten, dann wären wohl gänzlich andere Zahlen geschätzt worden, als dann eingetreten sind. Zudem hätten wir diesen Zinsanstieg grundsätzlich für nicht möglich gehalten. Auch ich wäre Teil dieses kollektiven Irrtums gewesen.
Zum Zeitpunkt der ersten US-Zinserhöhung im März 2022 lag das US-Wirtschaftswachstum bei etwa 2,5 %. Beachtliche elf Zinsschritte später liegt es bei 2,7 %. Aus der Erwartung einer Rezession, also eines „hard landing“, wurde ein „soft landing“ und nunmehr ein „no landing“. Die US-Arbeitslosenrate lag zu Beginn der Zinswende bei 3,8 %, so wie auch aktuell. Der breite US-Aktienmarkt steht nach elf Zinsschritten um etwa 15 % höher und die Unternehmensgewinne sind um über 10 % gestiegen. So viel zu Theorie und Praxis.
Die Kombination aus robustem Konsum, hohen Staatsausgaben, hohen unternehmerischen Investitionen und einer Demografie, die auch den US-Arbeitsmarkt verändert, führt dazu, dass die US-Notenbank keinen Druck hat die Zinsen zu senken. Sie kann, aber sie muss nicht. Erste Senkungen geringer Dimension werden nunmehr erst für den Herbst erwartet, wenn überhaupt. Dass im Umfeld von Renditen im Bereich von 4,6 % bei 10-jährigen US-Staatsanleihen der Aktienmarkt mit einer durchschnittlichen Dividendenrendite von 1,4 % sich so gut hält, bleibt beachtlich.
Damit wird die EZB, ob sie will oder nicht, einen eigenen Weg finden müssen. Obwohl der EURO-Leitzins nominell unter dem Niveau des US-Leitzinses liegt, ist er in Wahrheit angesichts der Wirtschaftszahlen wesentlichen aggressiver und wachstumshemmender als jener in den USA. Aus unserer Sicht wären drei Zinssenkungen zu je 0,25 % bis Jahresende angebracht, beginnend noch vor dem Sommer. Auf Sicht, in den Jahren 2025 und folgend, sollte sich der EURO-Leitzins aufgrund des sich normalisierenden Umfelds und des grundsätzlichen Wachstumspotentials der EURO-Zone wohl bei einem neutralen Niveau von 2,50 bis 2,75 % einpendeln.
 

BEMERKENSWERTE UNTERNEHMENSGEWINNE

Zurückkommend auf die „vier wilden 20er-Jahre“ ist auch der Blick auf die Entwicklung der Unternehmensgewinne bemerkenswert. Es bleibt als Erkenntnis der vergangenen vier Jahre und auch meines gesamten Berufslebens, dass der unternehmerische Fortschritt immer und immer wieder beeindruckend ist. Nimmt man die breiten amerikanischen und europäischen Börsenindices als Basis, so liegen aktuell die Unternehmensgewinne der Firmen im Schnitt um etwa 35 % über dem Jahresbeginn 2020, der Rückgang im Corona-Umfeld wurde rasch aufgeholt. Erhöhte Inflation ist für Unternehmen allemal besser als sinkende Preise, vor allem für die Marktführer mit hoher Macht in der Preisgestaltung. Auch in diesem komplexen Umfeld waren also Steigerungen von knapp 8 % p.a. möglich. Das Argument, dass es branchenmäßig große Unterschiede gibt, zählt nicht, die gab es in der Geschichte immer, die profitabelsten Bereiche wechseln. Insgesamt ist diese Erkenntnis die klare Bestätigung der langfristigen Logik des Aktieninvestments, die unterschiedlichen Dynamiken lassen sich nur über Diversifikation lösen.
 

FAZIT UND AKTUELLES

Letztendlich führen die wilden Jahre zu vier finalen Erkenntnissen.

Erstens: Wirtschaft und Unternehmen sind widerstandsfähiger als angenommen und die Lage in Österreich und Deutschland differiert stark vom Rest der Welt.

Zweitens: Trennen Sie klar, an der Börse investieren Sie in Unternehmen und nicht in Volkswirtschaften. Auch in wirtschaftlich schwächeren Regionen können hoch erfolgreiche global tätige Unternehmen beheimatet sein.

Drittens: Wenn Prognosen offenbar so schwierig sind und auch die Lehrbücher nicht funktionieren, dann kann es nicht logisch sein, ein Depot nur auf einer engen Meinung und auf Basis eines engen Weltbildes aufzubauen. Logisch ist eine breite Struktur, die mit verschiedenen Szenarien zurechtkommt, einmal besser, einmal schlechter.

Viertens: Wenn in nur vier Jahren faktisch alle denkbaren Zins- und Konjunkturzyklen stattfinden können, dann ist es eine Illusion dies immer rechtzeitig zu erkennen. Verwenden Sie daher viel Zeit für den Aufbau Ihrer Veranlagungsstruktur und bleiben Sie dann weitgehend stabil und agieren mit ruhiger Hand.

Von der Zeitreise zurück zum aktuellen Umfeld: Der April brachte eine Konsolidierung im Aktienbereich, was wir nach den Anstiegen seit November als gesunde Entwicklung und als keinen Anlass zur Sorge sehen. Ähnliches gilt für den Anleihemarkt, Seitwärtstrends mit Schwankungen ändern nichts an der grundsätzlichen Attraktivität.
​​​​Bemerkenswert ist die positive Entwicklung bei Gold und Rohstoffen. Da wir Gold als strategische Positionierung betrachten, wollen wir die Frage, warum es gerade jetzt steigt, nicht vertiefen, weil es dazu auch keine glasklare Antwort gibt. Man könnte auch fragen, warum es angesichts Geopolitik, Inflation und Staatschulden nicht längst gestiegen ist. Die Rohstoffanstiege waren auch getragen durch einen bemerkenswerten Lageraufbau in China, unter anderem bei Kupfer. Die Logik aus der – nicht vorhandenen - Stärke der chinesischen Wirtschaft ergibt sich nicht, was der strategische Hintergrund dieses Verhaltens ist, bleibt spannend, aber vorerst unklar.
Damit bleibt auf die Frage ob Aktien oder Anleihen oder Rohstoffe/Gold weiterhin nur eine Antwort: Von allem etwas, je nach persönlicher Risikoneigung.

Ihr Alois Wögerbauer
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